Wie funktioniert ein Leben ohne Social Media?

Sind soziale Medien ein Fluch oder Segen? Nach 15 Jahren, vielen Datenskandalen und Musk-Tweets lässt sich die Frage immer eindeutiger beantworten. Der Journalist Björn Staschen beschreibt in seinem neuen Buch In der Social Media Falle  die Marktmacht von Facebook, Twitter und anderen Plattformen. Wir wollten von dem Autor wissen: Kann eine Welt ohne Social Media überhaupt noch funktionieren?

„Wir müssen uns unsere Entscheidungen in der digitalen Welt wieder schwerer machen.“

Facebook und Diktatoren

Smart Casual: Du schreibst, dass Social-Media-Plattformen demokratische Prozesse beeinflussen. Haben die Plattformen in den vergangenen Jahren nicht auch immer wieder im positiven geholfen, vor allem bei Grassroots-Bewegungen? Oder sind wir da auf einen PR-Spin reingefallen?

Björn Staschen: Keine Frage: Die Plattformen tun auch Gutes, zum Beispiel hätte es beispielsweise der Arabische Frühling in Ägypten ohne Facebook schon schwerer gehabt. Gleichzeitig aber haben die Plattformen auch immer wieder mit Diktatoren und Unterdrücker-Regimen kooperiert – niemand kann sich darauf verlassen, dass sie auf Dauer Freiheit garantieren. Und was ist Freiheit wert, wenn sie vom einen auf den anderen Moment wieder entzogen werden kann? Wir müssen uns entscheiden: Reicht es aus, ab und zu Gutes zu tun? Oder brauchen wir Plattformen für unsere Meinungsbildung, die Gutes nicht nach Gutsherrenart, sondern verlässlich und reguliert garantieren – vielleicht, weil wir – die Bürger – ihre Regeln diskutiert und verabschiedet haben?

Smart Casual: Die Unternehmensgründer und -Chefs sind berüchtigte Charaktere. Inwiefern haben sie den negativen Einfluss ihrer Plattformen tatsächlich bewusst geplant, oder ist das eher eine Folge von der Abhängigkeit von Investoren und Shareholdern?

Staschen: Manchmal würde ich gern in die Köpfe von Peter Thiel oder Marc Andreessen schauen können – leider kann ich es aber nicht: Insofern weiss ich nicht, ob sie das Negative wirklich geplant haben, ich vermute es aber. Denn fest steht: Die Verantwortung geenüber Shareholdern und Investoren bewirkt bedingungslose Gewinnorientierung – und fördert damit alle negativen Mechanismen der Plattformen. Wir wissen zudem, dass Menschen wie Peter Thiel oder Elon Musk schon früh ihre eigene, zum Teil sehr schräge Weltsicht zu verbreiten versucht haben. Und dass sie sich just zumindest auch auf dem Markt der Meinungsbildung austoben, geschieht aus meiner Sicht auch mit dem Ziel, Meinung zu beeinflussen.

 

Lösungen für das Social Media Dilemma

Smart Casual: Haben die Werbewirtschaft und Medien sich da zu schnell abhängig gemacht und den Plattformen noch mehr Macht geschenkt? Vor zehn, 15  Jahren wollte einfach jedes Unternehmen und Medium auf Twitter und Facebook sein.

Staschen: Bis heute machen wir uns alle zu sehr abhängig. Politiker bis hin zum NATO-Generalsekretär teilen Entscheidungen exklusiv auf Twitter/X mit. Selbst öffentliche Unternehmen wie die Hamburger Wasserwerke locken Menschen auf die Plattformen, in dem sie spannende Einblicke nur gegen Likes und Reposts verlosen. Und auch wir Medien haben erst geschlafen und uns dann überstürzt den Plattform-Mechanismen ausgeliefert. Wir investieren heute Millionen, um Menschen anzustellen, die News und Hintergründe so für Plattformen konfektionieren, dass sie deren Agorithmen streicheln, im Zweifel zu Lasten journalistischer Werte.

Smart Casual: Welche Lösungsvorschläge hast du für dieses Social-Media-Dilemma? Die Plattformen werden ja nicht so schnell verschwinden.

Staschen: Wir alle sind die Lösung: Wir müssen uns unsere Entscheidungen in der digitalen Welt wieder schwerer machen. Muss das Handy wirklich mit einem Google-Betriebssystem laufen, oder tut es auch ein nahezu google-freies Android (wie beispielsweise e/Os)? Müssen wir für den nächsten Geburtstag wirklich alles auf Amazon bestellen? Muss der Eltern-Klassenchat wirklich auf WhatsApp (statt auf Threema) stattfinden? Wenn wir bei jeder einzelnen Entscheidung nachdenken und uns Mühe machen, stärken wir nach und nach Alternativen. Gleichzeitig muss Politik die Plattformen schärfer regulieren. Wir müssen die Medienpolitik ins Zentrum unserer Debatten rücken – Talkshows im Fernsehen sollten ebenso die Gefahr für unsere digitale Freiheit thematisieren wie Lehrer an Schulen.

 

Alternativen zu Facebook und Twitter

Smart Casual: Du hast dich im Zuge des Buch-Launches selbst von Social Media verabschiedet. Wie geht es dir bisher dabei? Planst du ein Comeback, oder verwendest du Alternativen?

Staschen: Nach und nach habe ich mich von Facebook, LinkedIn, Twitter/X und Instagram zurückgezogen. Meine Accounts gibt es noch, aber ich poste nicht mehr und lese kaum noch. Mir hat das ehrlich gesagt gut getan: Ich habe mehr Zeit, bin seltener genervt vom polarisierenden Müll mancher Plattform. Und ich habe im Fediverse mit Mastodon und Pixelfed Orte für Austausch und Inspiration gefunden, die langsam wachsen und interessanter werden. Es müssen nicht diese Orte sein, aber es müssen Orte sein, die über Standards mit anderen verbunden sind anstatt sich nach außen abzuschotten, die transparent mit meinen Daten umgehen und Inhalte nicht mit intransparenten Algorithmen verzerren. Im Moment habe ich keinen Bedarf, mein Comeback zu planen – im Gegenteil: Ich freue mich, alte Freunde auf den neuen Plattformen wiederzufinden.

 

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Headerbild: Johannes Wulf

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